Güteklassen

Aus der  Geschichte des Porzellans haben Sie erfahren, dass vor allem europäisches Porzellan ein auf der Grundlage konkurrierender Adelsgeschlechter entstandener Werkstoff ist und ein Symbol für Reichtum, Stärke und Macht darstellte. Dem gemeinen Volk war Porzellan nicht zugänglich. Reichhaltige Dekore, Gold, Kobalt und aufwändige Malereien zierten das edle blaublütige Geschirr. Die wohl größte und wertvollste Sammlung royalen Porzellans ist in England auf Schloss Windsor zu besichtigen. Diese Sammlung zeigt u.a. dieses Fürstenberg-Porzellan von 1773 als Geschenk Frederick von Brunswick an seinen Schwager König George III. 

(Königliches Fürstenberg-Porzellan von 1773)

Diese Sammlung mit mehr als 500 Servicen und über 20.000 Einzelstücken trägt die Künste und Schätze aller Kontinente zusammen und dokumentiert so die Entwicklung des Porzellans in eindrucksvoller Weise. Doch ein genauer Blick durch die Panzerglasvitrinen lässt den anspruchsvollen Porzelliner erstarren: alle diese kaum erschwinglichen Porzellanteile tragen Merkmale, die heute eine totale Unverkäuflichkeit darstellen: NadelsticheBrandfleckenDeformationen und quasi sämtliche möglichen Fehler im Porzellan, die man sich nur vorstellen kann.

Man mag sich streiten, was letztlich den Zugang des Porzellans für das breite Volk ermöglichte. War es Philip Rosenthal I., der bereits 1882 auf Schloss Erkersreuth mit einer Art "Massenfertigung" von Dekorware begann? Oder war der 1948 in Kraft getretene Marshallplan der Amerikaner, die dem fränkischen Grenzland so den Start in eine industriell gefertigte Ware überhaupt erst ermöglichte?

Egal was ursächlich war, 1953 begann die Blütezeit der deutschen Porzellanindustrie! Die kobaldblauen Bodenmarken mit Hakenkreuz & Co. waren längst vergessen und wurden durch die Bezeichnung "Bavaria Germany" zum anerkannten Subventionsgut amerikanischer Aufbauhilfen. Der Devisor dieser Wirtschaftsförderung war klein und übersichtlich, die Familien waren teilweise über Kreuz miteinander verwandt und verschwägert. Die Märkte waren aufgeteilt und die Preisstellung abgesprochen. Bavaria Germany wuchs zum Qualitätssymbol für Porzellan und widerlegte die Aussage von Franz Reuleaux anlässlich der Weltausstellung 1876 in Philadelphia, "...Deutsche Waren sind billig und schlecht...". 

Bis in die 90er Jahre waren die Hersteller nach "Skalen" gegliedert, die dem Fachmann Aufschluss über das Qualitätsniveau der Produktion gaben (von A bis C, aufsteigend). Den Warenhäusern und Verbrauchermärkten war das "Billiggeschirr" der Skala A vorbehalten. Nur edle Fachhändler durften die Skala C verkaufen. Dass man damals schon "C" für "A" produziert hat und was hinter den Kulissen sonst noch gemogelt und geschoben wurde, soll hier nicht weiter erläutert, aber als Beispiel einer nebulösen Qualitätsdeklaration deutlich hervorgehoben werden.

Einer der bedeutenden Urväter dieses "Know-how-Transfers" (Neudeutsch: Outsourcing) war wohl Philip Rosenthal I., als er 1922 in Schlesien in den Krister Porzellanwerken erstmalig "Original Rosenthal Geschirre" anfertigen ließ. Hutschenreuther, Winterling, Seltmann und viele weitere Porzellanmarken folgten diesem Beispiel mit großem Erfolg. 

Heute haben wir Internet, Markttransparenz und eine spürbar geringere Nachfrage. Konnten deutsche Porzellanfabriken noch vor 30 Jahren fehlerhaftes Porzellan (2. Wahl) in sogenannte "Überdruckmärkte" zu erträglichen Preisen exportieren, sind diese Kanäle heute zu. Länder wie Italien, Spanien, Türkei, Tunesien, Brasilien, der Irak oder Ägypten haben inzwischen eigene Porzellanfabriken - mit deutscher Technologie - und stehen als Ausgleichsmärkte nicht mehr zur Verfügung. Das Segment der Skala A war längst schon von Rumänien, Polen, Portugal und China übernommen. Deutsche Porzellanmarken mussten nun somit einen Abfluss fehlerhafter Ware auf ihren heimischen Märkten ermöglichen. Das war die Geburtsstunde der "handelsüblichen Sortierung".

Die Qualitätseinstufungen "Mischsortierung" / "handelsübliche Sortierung" / "commercial choice" (u.v.a.) ermöglichen dem Produzenten die Beigabe fehlerhafter Ware. Dies geschieht nicht zum Nachteil der Abnehmer, da diese Qualitätssortierung i.d.R. erheblich günstiger ist als die ausgelobte erste Wahl. Der Abnehmer trifft durch den Preis also selbst die Entscheidung, welche Qualitätsstufe (Sortierung) er bezahlt.

Wir behaupten, dass eine "Mischsortierung" eines deutschen Herstellers i.d.R. besser ausfällt als die einer rumänischen, polnischen oder chinesischen Fabrik. Das liegt vor allem an der hohen Technisierung im deutschen Fertigungsstandard. Die Mischsortierung einer Fabrik mit traditionellem Fertigungsstandard weist definitiv höhere Toleranzwerte auf als vollautomatisch hergestellte Ware.

Deshalb sollte jeder Verbraucher "vernünftige" Preiserwartungen stellen. Es sollte selbstredend sein, dass ein Teller für 1 Euro ein anderes Qualitätsprofil aufweist als ein Teller für 10 Euro.

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