2020 - Corona wird die Branchen massiv verändern

Halle in Westfalen ist der Standort von Holst Porzellan. Als Handelsagentur mit internationaler Beschaffungskompetenz und Vertrieb internationaler Marken gestartet, hat das Unternehmen heute Herstellerstatus und auch bedeutende Eigenentwicklungen lanciert. Inhaber Knud Holst warnte jüngst noch vor Insolvenzen bei Porzellinern und Händlern und rief zu Kooperationen innerhalb der Branche auf.

Von Peter Erik Hillenbach

Herr Holst, wie geht es Ihrem Unternehmen in diesen Tagen?

Holst Porzellan macht Kurzarbeit bei 80 Prozent Umsatzrückgang. Wir wurden von Corona ziemlich hart getroffen und die meisten unserer Partner auch.

Sie haben in Ihrem Newsletter Ende März sowie Mitte Mai in einem Aufruf an Ihre Partner geschrieben, dies sei nicht die erste Krise, die Ihre Branche zu überstehen habe - Sie seien geradezu geimpft und resistent. Der Name Seehofer fiel...

Sie haben in Ihrem Newsletter Ende März und dann noch einmal Mitte Mai in einem Aufruf an Ihre Partner geschrieben, dies sei nicht die erste Krise, die Ihre Branche zu überstehen habe – Sie seien geradezu geimpft und resistent. Der Name Seehofer fiel…

Horst Seehofer als damaliger Gesundheitsminister (1992 bis 1998) hat die Branche vernichtet. Seine Gesundheitsreform hat diese Sparzwänge mit sich gebracht, die dazu führten, dass mir ein Krankenhaus-Einkäufer sagte: „Mir egal, was unter der Tasse steht! Ich kann die Markennamen alle nicht mehr bezahlen.“ Das führte zur Einführung unserer Low-Budget-Marke aus ausländischer Produktion. Wir haben in China eingekauft, wobei man wissen muss, dass Ware aus China bis 2004 quotiert war. Nach Aufhebung der Zollbeschränkungen rollte eine riesige Chinawelle über hiesige Möbelhäuser und ähnliche Outlets hinweg. 

Sie verorten Ihre Produkte selbst im Zwei-Sterne- bis Drei-Sterne-Plus-Segment. Was ist Porzellan in den Augen eines Familienunternehmers in dritter Generation?

Porzellan im HoReCa-Gewerbe ist ein Gebrauchsgegenstand mit einer Funktion! Unsere Kollektion „Schlicht & Stark“ entstand aus zwei Impulsen heraus: unserer enttäuschenden Erfahrung mit Designporzellan und dem plötzlichen Bedarf nach günstiger, generischer Ware im Zuge der Gesundheitsreform. Immerhin stellten Pflege, Krankenversorgung und verwandte Bereiche 1992 den zweitwichtigsten Kundenstamm der Porzellanindustrie in Deutschland. 

Was also muss Porzellan für das Gastgewerbe und die Gemeinschaftsverpflegung können?

Wichtig sind Parameter wie Kompatibilität und uniforme Formensprache. Gute Massenproduktion in die Gastronomieketten und Krankenhäuser zu bringen ist eine Herausforderung. Wenn einem das fehlt, hat man ein Problem. 

Sie betonen auch immer wieder die Wichtigkeit von Alleinstellungsmerkmalen.

Wir bedienen die breiteste Branche der Welt. HoReCa bedeutet Spitzenrestaurant und Bahnhofsimbiss, Unimensa und Hotelkongress, Krankenhausverpflegung und Systemgastronomie. Da sind USPs gefragt und die Fähigkeit, sich online in jedem Segment zu präsentieren. Man muss Suchmaschinenoptimierung und Algorithmen beherrschen. Holst Porzellan betreibt an die 130 verschiedene Webseiten wie etwa löwenkopfterrine.de oder krankenhausporzellan.de, damit wir überall auffindbar sind. Wir werden uns in unserem Angebot künftig noch weiter spezialisieren und auf unterschiedliche Anforderungen der Gastronomie eine Antwort haben, ob das nun Imbiss, Asia oder Fisch ist. 

Welche Rolle sollte der Fachhandel in diesem Zusammenhang für Sie spielen?

Die Positionierung ist wichtig. Stellen Sie sich vor, ein Kunde kommt zum Mercedeshändler und will einen 5er BMW kaufen. Oder bei Ikea verlangt jemand eine Hülsta-Küche. Das gibt es dort nicht, da werden Sie weggeschickt. 

Was schlagen Sie vor?

Der Handel kann heute nicht von A wie Arzberg bis Z wie Zwiesel alle Marken anbieten. Ich plädiere sehr dafür, sich auf eine Marke zu konzentrieren und sich untereinander abzusprechen, wer welche Marke vertreibt. Ein Beispiel: In der Zeit von 1986/87 bis 1996/97 haben alle chinesischen Restaurants in Deutschland bei Poggemeier in Bielefeld ihre Geschirrausstattung gekauft. Oder die Gastronomiekette Alex braucht bestimmte, nur von ihr genutzte Modelle. Das wäre ein Fall für einen spezialisierten Händler. Nach meiner Beobachtung fehlt die Zielgruppenorientierung und -definierung und deshalb hat der Fachhandel seine Bedeutung im lokalen Geschäft verloren. 

 

Sie haben selbst 17 Jahre im Fachhandel „gedient“, wie Sie es formuliert haben. Worin sehen Sie die Gründe für den Niedergang des Fachhandels?

Wir haben von 1998 bis 2015 satte 99,99 Prozent Umsatz mit dem Handel gemacht. Heute sind es weniger als 40 Prozent. Es gibt keine Marktordnung mehr: Der Hersteller ist Händler, der Händler ist Importeur. Der Einzelhandel wird zu häufig von der Industrie direkt bedient. Eigenprodukte fehlen, die Geschäftspflege fehlt. SB- und Cash & Carry-Märkte schreiben mit Porzellan nur eine schwarze Null, es gibt mehr Angebot und Ware als Marktplätze, was wiederum zum Preisverfall führt. Onlineportale präsentieren sich ohne roten Faden, es wird verkannt, dass über 70 Prozent der Suchanfragen heute übers Smartphone getätigt werden. Außerdem empfinde ich die Lagermechanismen häufig als unzeitgemäß, ich vermisse zum Beispiel bei vielen Händlern die Umstellung auf einen unkomplizierten Abholmarkt. Corona wird das alles abstellen! Keine Strategie zu haben bedeutet, dass weitere Konkurse und Insolvenzen zu erwarten sind.

 

In Ihrem bereits zitierten Newsletter zeichnen Sie ein drastisches Szenario.

Ich gehe von drei Corona-bedingten Wellen aus: In der ersten „Cash-Welle“ wird der Handel seine Lagerbestände weit unter Preis in den Markt pressen. Das erste Vapiano-Geschirr zum Sonderpreis wurde schon gesichtet. In der zweiten „Ebay-Welle“ überschwemmt die Second-Hand-Ware insolvent gewordener Caterer, Hotel- und Gastronomiebetriebe sowie Händler die Schnäppchenjäger – auf Jahre. In der dritten „Sequestor-Welle“, der größten von allen, drängen durch die Insolvenz großer Porzellanfabriken unvorstellbare Mengen Ware weit unter Preis auf den Markt. Da helfen auch keine Investoren, denn die sind vor allem an den Markennamen interessiert, niemals an der Lagerware. 

Zur Entwicklung und Lage der deutschen Porzellanindustrie haben Sie ebenfalls Ihre eigenen Ansichten; Holst Porzellan ist da häufig eigene Wege gegangen…

Die deutsche Porzellanindustrie hat sich zu Tode entwickelt bei der Industrialisierung der 1960-er Jahre. Am Anfang stand die Diversifizierung der Ware durch Dekore. Das heißt, die an sich gleichen Formen unterschiedlicher Hersteller unterschieden sich nur im Dekor. Das war Bavaria-Einheitsware und ging jahrelang gut. Dann kam das Markenempfinden und damit der Wunsch: Ich will Marke sein. Das Gesetz der Porzellanindustrie lautete entsprechend: „lebenslang verhaftet“: Wer als Gastronom oder Hotelier einmal Seltmann oder grüne Ranke bestellt hatte, blieb immer bei  Seltmann oder Rosenthal. 

Was geschah dann?

Dann wurde weißes Porzellan auf einmal Trend, die Form wurde also zum wichtigsten Unterscheidungselement. Neue Formen sind aber nicht einfach herzustellen, weil hiesige Hersteller Edelstahlformen verwenden, die jedoch nicht so schnell mal eben geformt werden können. Fernöstliche Hersteller oder auch RAK in den Arabischen Emiraten können Formen schneller und billiger machen. 

Warum?

Das hat mit dem Tunnelofen zu tun, in China „Hungriger Drache“ genannt. Hiesige Fabriken scheuen sich vor diesem Tunnelofen. Er braucht eine gewisse Atmosphäre, er benötigt eine Menge Hohl- und Flachteile gleichzeitig, und er steht nicht still. In der Volkswirtschaft China geht das, da kann ein großer Auftrag angenommen werden, weil dann der benachbarte Fabrikant einen Teil des Volumens abnimmt. In einer Volkswirtschaft herrscht keine Konkurrenz. Bei uns jedoch findet der Preiskampf untereinander in der Branche statt und nicht gegen China. Ich spreche von einer Branche, die ihre Preise nicht im Netz auszeichnet! Wir brauchen aber Wettbewerb, Technisierung, Globalisierung! Global Player wie Villeroy + Boch, RAK, BHS, Noritake oder Noke haben das verstanden. Das Problem bei unseren Firmen ist jedoch: Rein deutsche Firmen sind auch nur in Deutschland bekannt.

Sie haben nach einigen Turbulenzen mit Aschenbechern und Löwenkopfterrinen als ersten eigenen Produkten der Ära Knud Holst (III) angefangen. Natürlich in Ihren neu akquirierten Produktionsstätten in Fernost gefertigt.

Wir haben als Handelsagentur für Glas, Porzellan und Keramik mit einer internationalen Beschaffungskompetenz begonnen – zu einer Zeit, als kaum jemand mit Fernost Geschäfte machte. Aber das Porzellan wurde in China erfunden, und auch um 700 v. Chr. gab es bereits Stoneware in Guangdong oder Hunan. Darauf basieren noch die heutigen Gipsformen aus Kaolin, Feldspat und Quarz, nachhaltig im Sonnenlicht und bei natürlichen Temperaturen getrocknet. 

Wo stehen Sie heute, welche Produkte sind Ihr Alleinstellungsmerkmal?

Unsere Holst Top Selection produzieren wir möglichst so, dass sie in Europa nicht nachgebaut werden kann. So ist es nämlich unseren berühmten Pommesschalen und Knickbechern ergangen, aber Gebrauchsmusterschutz macht einfach keinen Sinn, außer er gilt weltweit. Als positives Beispiel für weltweiten Schutz sei die Serie „Wave“ von Villeroy + Boch genannt.

Eigenentwicklungen an Gastronomie- und Hotelporzellan, die man in puncto Schlagfestigkeit und Robustheit mit nichts vergleichen kann, sind Alumina und High Alumina mit ihren besonderen Eigenschaften.

Generell erklären wir unsere Produkte dem Endkunden. Zum Beispiel haben wir spezielles Geschirr für 60-er-Restauranttische: Darauf passen keine zwei 30-Zentimeter-Teller, also bieten wir für diese Zweiertische besondere Maße an. Ein weiteres Beispiel ist unser breites Portfolio an Clochen, die wir für die neue Zeit mit Corona anbieten: Auf dem Weg von der Küche zum Gast ist das Essen durch spezielle Teller- und Schüsselabdeckungen geschützt. Für solche Angebote ist der Gastronom dankbar. Und er braucht eine Landschaft von Partnern, die ihm in einem Netzwerk zur Seite stehen.

 

Was fehlt Ihnen in diesen Zeiten?

Knud Holst: Ich möchte die Gelegenheit für einen Aufruf nutzen: Wir suchen die enge Partnerschaft zu Herstellern und Kunden. Wir sind sogar bereit, Allianzen einzugehen – die vielleicht noch tiefer gehen als normale Vertriebsvereinbarungen.

 

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Tags: Presse, Corona

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